Montag, 25. August 2008

Müssen wir für immer dort wohnen bleiben, wo wir geboren sind?

Sven Regner, den meisten ja bekannt als der Sänger der Band "Element of Crime" macht in der letzten Zeit ja überwiegend als Autor von sich Reden. "Herr Lehmann" war sein erster Roman, der wenn ich mich jetzt recht erinnere, auch verfilmt wurde. Dann folgte "Neue Vahr Süd" und nun ist mit "Kleiner Bruder" sozusagen das zeitliche Bindeglied zwischen beiden Romansträngen erschienen.
Mich hat die ganze Lehmann Klamotte nie wirklich groß angekickt. Wird hier doch das Lebensgefühl des Wesberlins der frühen 80iger Jahre inszeniert. Das mag spannend sein, ist mir jedoch gefühlsmäßig so fremd das Empfinden der Jugend in Tatschikistan Anfang der 60iger Jahre und daher ehr von historischem Wert. Da ich aber derzeit so viel neues und im besten Sinne des Wortes zeitgenössisches zu entdecken habe, rangiert diese Entdeckungsreise in die triste muffige Frontstadt Paranoia eher an dritter oder vierter Stelle meiner Entdeckergelüste..

Insofern kann ich wenig über die Herren Lehmann und den literatrischen Wert der Romane berichten. Hochinteressant finde ich allerdings dieses Interview mit Sven Regner in der Samstagsausgabe des Tagesspiegel. Hier entwickelt der Autor, wie ich finde, recht spannende Gedanken zum Thema Kiezkultur und der Frage wer denn am besten wo hin passt:
Denn wenn einer sagt, unser Kiez soll so und so sein, ist das die Voraussetzung dafür, dass einer totgeschlagen wird, wenn er nicht reinpasst.

Und da ist ja irgendwo auch eine Menge dran. Die Welt ist in Bewegung und zu diesem permanenten Wandel gehört eben auch der regelmäßige Umzug ... weil der Job das erfordert ... weil die Wohnansprüche sich ändern ... weil man sich verkleinern will ... weil man sich vergrößern will ... oder weil man aus der horizontalen und die vertikale Wohnform wechseln will. Und weil das so ist, befindet man sich ständig auf der Suche und wird dann irgendwo fündig und siedelt dann um und dann - ja dann ist man ein Neuer, ein Zugezogener. Egal ob man aus einem anderen Stadtteil kommt oder aus Castrop Rauxel. Und dann trägt man mit dem ersten Tag in der neuen Umgebung dazu bei, dass sich diese verändert oder, wie in unserem Fall, sogt man durch seine bloße Existenz dafür, dass sich Identität entwickelt und weiterentwickelt. Und dadurch wird wieder dafür gesorgt, dass die Gegend für bestimmte Menschen attraktiver wird und für ander menschen an Attraktivität verliert. Der Kreislauf von Zu- und Wegzug setzt sich unaufhaltsam in Gang.

Hier in Berlin ist das im Prenzlauer Berg ganz besonders intensiv zu studieren. Der Prenzlauer Berg von 1992 hat mit dem P- Berg von 2008 kaum noch etwas gemein. Und was häufig übersehen wird, auch der Prenz'l Berg von 2001 hat mit beiden Versionen genauso wenig gemein. Diese Veränderungsgeschwindigkeit ist enorm und beeindruckend und noch nicht einmal für Berlin besonders typisch. Vergleicht man die Veränderungsprozesses im gleichen Zeitraum in Kreuzberg oder Wilmersdorf so erkennt man sehr deutlich die rasende Geschwindigkeit mit der sich im Prenzlauer Berg Austauschprozesse vollzogen haben.
Prenzlauer Berg ist jetzt einfach ein bürgerliches Viertel, in dem viel Geld drinsteckt. Die Leute dort mit ihren Restaurants, Kinderklamottenläden und den ganzen anderen kulturellen Codes, die müssen auch irgendwo leben.

Wie das nun zu bewerten sei, ist jedem selbst überlassen. Da gibt es die, die nicht schritthalten wollen, die die nicht schritthalten können und die, denen das alles noch immer nicht schnell genug geht und dann gibt es die neuen Blogwarte:
Es gibt immer Menschen, die Feindbilder brauchen. Früher hieß es in Kreuzberg auch öfter mal, die Scheißtouristen sollten abhauen. Ich habe mal erlebt, wie geborene Berliner auf der Wiener Straße als Touristen beschimpft wurden, und zwar von Leuten mit schwäbischem Akzent. Aber das ist kein Argument gegen die Schwaben. Wer gegen Schwaben ist, ist auch nur Rassist.
Das sind dann die, die anachronistischer Weise einen Prozess des Wandels auf dem vermeintlich Höhepunkt aufzuhalten und zu konservieren versuchen. Die, die hoffen mit Regeln und Guidelines Dinge zementieren zu können und vor allem Regelverstöße zu ahnden. Der Unzterschied zur deutschen Kleingartenverordnung wird zunehmend marginaler - Gartenzwerge für den Kollwitzplatz!

Nun, ich persönlich halte seit jeher den Wandel für etwas erstrebenswertes - das alles macht das Leben spannend und aufregend und hält auch irgendwie geistig jung. Noch sind wir in einem Alter, in dem uns Veränderungen zuallererst neugierig auf das Neue machen und der Blick nicht zuerst auf das fällt, was verloren geht. Daher finde ich es ja auch so ungemein spannend, nun genau an die Nahtstelle zwischen dem Prenzlauerg Berg und dem Friedrichshain zu ziehen. Allein die Lage verspricht aufregende Veränderungen im gesamten Umfeld. Dynamischer geht es wohl kaum. Veränderungen werden hier anstehen, die mutmaßlich in Jahren und nicht in Jahrzehnten gemessen werden. Und wenn das so ist, dann kann man sich ja mental auch damit anfreunden, hier die nächsten 20 Jahre sesshaft zu werden.

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